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Zwillingskind 1

Am 2. August 1822 wurden in Castrop die Zwillinge Friedrich Wilhelm und Simon Wilhelm Ehmann geboren. Die Mutter war die Tochter des verstorbenen Chirurgus Ehmann aus Göppingen in Württemberg, der wahrscheinlich bis 1812 in Castrop gelebt hat. Der Vater der Kinder wird im Kirchenbuch nicht genannt. Beide Jungen wachsen wahrscheinlich bei der Mutter und der Großmutter auf. Die letzte stirbt 1842. Bis zu diesem Zeitpunkt werden Mutter und Tochter Ehmann im Kirchenbuch verschiedentlich als Teilnehmerinnen am Abendmahl erwähnt.

Zu dieser Zeit war Castrop noch ein Dorf. Die Entwicklung zum Industriestandort Castrop-Rauxel mit der Zeche Erin begann erst später. Für ein uneheliches Kind eine denkbare schlechte Zeit. Es fehlte der Ernährer der Familie, es fehlte an eigenen Aussichten auf Besitz und Wohlstand. Immerhin erlernte zumindest Friedrich ein Handwerk: Er wurde Schneider.

Friedrich Ehmann blieb nicht in Castrop. Seine Spur führt ins westfälische Minden. Hier heiratet er 1850 Louise Müller, die in Minden geboren wurde. Das Ehepaar wohnt zumeist in der oberen Altstadt, dem Viertel der kleinen Handwerker und Kaufleute mit Stein- und Fachwerkhäusern, wie sie heute noch im Bereich der Museumszeile zu sehen sind.

Warum oder wie es Friedrich Ehmann, der einige Male auch Ehemann geschrieben wurde, nach Minden verschlug, ist nicht bekannt. Vielleicht folgte er der Linie der Köln-Mindener Eisenbahn? Aber hatte er die Mittel dazu?

In den Akten des Mindener Stadtarchivs wird der Schneider Ehmann öfter genannt: bettelarm sei er, heißt es 1853, deshalb brauche er keinen der gemäß „§65 der Feuer-Polizei-Ordnung“ von den Gewerbetreibenden der Stadt abverlangten Feuerwehreimer zu stiften.

Das Schicksal meint es nicht gut mit der Familie. Sie lebt in unruhigen Zeiten und in Notzeiten. 1848 war Revolution in Deutschland, zuvor hatte es einige sehr schlechte Ernten gegeben. Auch in Minden verlangten Demokraten nach mehr Rechten – und wanderten enttäuscht in die Vereinigten Staaten aus. Einer von ihnen war der Gymnasiallehrer Kapp. Einer seiner Verwandten machte später allerdings nicht gerade durch eine demokratische Einstellung von sich reden: Er führte den nach ihm benannten Kapp-Putsch an.

In dieser Gelehrtenfamilie war Louise Müller vor ihrer Heirat wahrscheinlich als Köchin beschäftigt. Das Mindener Bürgerbuch führt jedenfalls eine solche für den Haushalt auf. Verbindungen der Familie Ehmann ins gute Bürgertum gibt es auf jeden Fall: bei einem Kind ist Frau von Schlotheim Patin, Ehefrau eines hohen Beamten.

Trotzdem erging es der Familie wohl wie vielen anderen: Kinder starben, kaum daß sie auf der Welt waren. Das Geld war knapp, der Wohnraum eng.

Zwillingskind 2

Auch die Familie Ehmann bekam Zwillinge: 1854 wurden Dorothea Luise Lisette und Wilhelm Theodor geboren. Wahrscheinlich war ein Arzt zugegen, und wahrscheinlich hat er die Mutter auf dem Gewissen. Louise Ehmann starb nur wenige Tage nach der Geburt ihrer Kinder. Sie wurde nur 33 Jahre alt. Ihr Verhängnis wird Kindbettfieber gewesen sein – das Schicksal vieler Frauen zu einer Zeit, in der die meisten Ärzte nichts von Hygiene wußten oder hielten. Von Schwerkranken oder Leichen, mit blutigen und eitrigen Sachen ging es zu Gebährenden. Frauen wurden nicht alt zu der Zeit. Zurück blieb der Mann mit zwei kleinen Kindern (vielleicht lebte auch noch der 1851 geborene Sohn Friedrich Eduard), von denen er wohl nicht wußte, wie er sie ernähren oder versorgen sollte. Erst 1858 verheiratete er sich erneut.

Dorothea kam so nach Hille und wuchs in der Pflegefamilie Bartling auf, deren Erbin sie wurde. Sie heiratete 1875 einen Hiller Jungen (Friedrich Engelage) und wurde Mutter von elf Kindern. Sie überlebte alle Geburten. Wahrscheinlich war dabei nur die Dorfhebamme zugegen gewesen oder die Ärzte hatten inzwischen dazu gelernt. Viele ihrer Nachkommen leben noch in Hille und Umgebung.

Bis vor einigen Jahren stand auf ihrem Grab auf dem Hiller Friedhof noch ein großer Stein mit kleinem Engel. Dann mußte er wegen Einsturzgefahr entfernt werden.

Ihr Bruder soll in einer kirchlichen Einrichtung aufgewachsen oder erzogen worden sein. Und er soll einige Zeit in den USA gelebt haben, dann aber wiedergekommen sein. Er sei unverheiratet geblieben, heißt es.

Über die Mutter heißt es übrigens in der Verwandtschaft, sie käme ursprünglich aus Bremen. Aber sie ist eindeutig in Minden geboren, wie auch ihre Eltern.